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New Work

Realitäten und Risiken

Die Corona-Pandemie hat zu neuen Realitäten in der Arbeitswelt geführt. New Work und Homeoffice sind plötzlich mit großer Geschwindigkeit in den Arbeitsalltag vieler Erwerbstätigen in Deutschland hereingebrochen. Daher ist es dringend notwendig die Risiken und Bedeutung dieser Veränderungen zu reflektieren.

Mit der Corona-Pandemie haben neue Realitäten in der Arbeitswelt Einzug gehalten. Gefühlt überall ist gerade von „neuen hybriden Arbeitsformen“ und von „Recht auf Homeoffice“ die Rede. Da kommen Fragen auf. Sind diese neuen Realitäten ein Segen oder stellen sie nur eine weitere Entgrenzung von Arbeit und Arbeitszeit dar? Bedeuten diese Veränderungen etwa das Ende der Erwerbsarbeit? Oder zeigen uns sie uns vielleicht einen Weg zur Verwirklichung von selbstbestimmteren Formen von Arbeit?

New Work neuer Modebegriff?

Hilfreich zur Einordnung dieser neuen Arbeitsrealitäten kann der Begriff der New Work sein. Mit New Work beschreibt der österreichisch-US-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann den Wandel von Lohnarbeit hin zu einer lebenssinnstiftenden Art von Arbeit. Nach mehreren Reisen in die ehemaligen Ostblockstaaten in den 1970er Jahren erkannte Bergmann, dass beim Ziel und Zweck der Arbeit ein Wandel möglich und notwendig ist. Um Bergmanns These und die von ihm beschriebene Veränderung besser verstehen zu können, sollte kurz eine auf den ersten Blick recht banale Frage geklärt werden. Was ist Arbeit?

Arbeit ist nicht immer gleich Arbeit

Was Arbeit ist, davon hat wahrscheinlich fast jeder Mensch für sich persönlich eine ziemlich genaue Vorstellung. Die meisten werden darunter eine zweckmäßige und produktive Tätigkeit verstehen. Aber damit hört es wahrscheinlich auf. Schon bei der Frage, welche Tätigkeiten genau zur Arbeit zählen, wird es zu sehr unterschiedlichen Antworten kommen. Noch größere Uneinigkeit wird schließlich darin bestehen, welche Bedeutung Arbeit beizumessen ist. Deutlich wird sein, Arbeit ist sehr stark von den jeweiligen gesellschaftlichen und geschichtlichen Umständen bestimmt.

Die Ursprünge der Erwerbsarbeit

Von der Antike über das Mittelalter wurde Arbeit fast immer ausschließlich als Last und Mühsal bewertet. Die ändert sich ab der Frühen Neuzeit. Zwar bleibt die Arbeitspraxis zunächst noch die selbe - die industrielle Revolution sollte erst später einsetzen - doch prägt sich immer mehr eine Orientierung an Fleiß und Fruchtbarkeit aus. Das aufkommende Bürgertum erhob die zuvor von der Aristokratie verachtete Arbeit zum Selbstrechtfertigungsprogramm. Fleiß und Fruchtbarkeit der Arbeit stifteten Sinn und wurden Quell des Stolzes. Dies war der Beginn des heute vorherrschenden Arbeitsbegriffs.

In dieser bürgerlichen, merkantilen Perspektive wurde Arbeit immer mehr als eine sinnvolle sowie selbstverwirklichende Tätigkeit verstanden. Bis Ende des 18. Jahrhunderts konnte sich so der Arbeitsbegriff etwas von seinem bisherigen Bedeutungsumfeld von Not und Mühsal hin auf eine schöpferische und kreative Bedeutung zubewegen. Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich dieser Prozess jedoch wieder. Mit Zunahme von Industrialisierung und Lohnarbeit gingen jene neuen Aspekte wieder verloren.

Die Realität der arbeitenden Bevölkerung entsprach nicht mehr den alten Idealen. Sie wurde eher durch abhängige und ausbeuterische Verhältnisse bestimmt, an welchen nichts schöpferisch oder kreativ war. Auch kam es in Folge der zunehmenden Industrialisierung zur stärkeren Zentrierung der Arbeit. Dadurch erfolgte eine räumliche Trennung. Privater und öffentlicher Bereich fielen auseinander. Eine Tätigkeit im privaten Bereich wurde nun nicht als Arbeit bewertet. Der Arbeitsbegriff wurde stark auf Erwerbsarbeit verengt.

Wandel durch New Work

In Folge dieser historischen Entwicklung wurde auch der Mensch stark durch sein Verhältnis zur Arbeit definiert. Sinn und Zweck des Menschen wurde die Arbeit. Das Konzept der New Work will nun diese Verzwecklichung umzukehren. Der Mensch soll sich nicht mehr der Arbeit unterwerfen, sondern die Arbeit dem Menschen zweckdienlich sein.

Doch was ist New Work in der Praxis? Bergmann verstand zu Beginn unter New Work eine ganz konkrete Form und Aufteilung von Arbeit. Heutzutage wird der Begriff jedoch eher auf eine allgemeine Art verwendet. Man versteht unter New Work einen nachhaltigen und grundlegenden Wandel von Arbeit.

Beschleunigung durch Corona

Eine in letzter Zeit oft angeführte konkrete Ausformung dieses Wandels sind Mobile Arbeit bzw. Homeoffice. Diese Veränderung wurde durch die Corona-Pandemie stark beschleunigt. So arbeiten laut dem Mikrozensus 2021 während der Pandemie in Spitzenzeiten fast ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland teilweise oder ganz mobil. Homeoffice gehört zur neuen Arbeitsrealität vieler Beschäftigten und es ist anzunehmen, dass diese Veränderung von Dauer sein wird.

Realität Home-Office

Diese Veränderung der Arbeitskultur zeigt auch die Konstanzer Homeoffice Studie. Jene befragt seit März 2020 in regelmäßigen Abständen 700 repräsentative Beschäftigte aus der deutschen Erwerbsbevölkerung. Im März 2022 arbeiten nur noch 18 % dieser Befragten in voller Präsenz. Die übrigen arbeiteten ganz oder teilweise in mobilen Arbeitsformen. Wie sehr Corona hier als Beschleunigung gewirkt hat wird im Vergleich mit dem Jahr 2019 deutlich. Damals hatten nur 12,8 % der Erwerbstätigen in Deutschland im Homeoffice gearbeitet.

Transformation der Erwerbsarbeit

Trotz aller Veränderungen bedeutet diese Entwicklung aber nicht das Ende der Erwerbsarbeit. So stellte der Sozialhistoriker Jürgen Kocka lange vor der Corona-Pandemie 2001 fest: „Doch die Erwerbsarbeit wird elastischer, poröser, fluider. Sie verliert ihre monopolartige Dominanz. Das Verhältnis von Arbeits- und Geschlechterordnung, von Arbeitsplatz und Familie/Haushalt, von Arbeit und sonstigem Leben ordnet sich neu.“ Homeoffice ist nur ein Ausdruck dieser Transformation zur fluideren Erwerbsarbeit.

Risiken des Home-Office

Doch wie steht es um die Risken? Die Entwicklung hin zu mehr Home-Office stellt eindeutig eine Entgrenzung von Arbeit und Arbeitszeit dar. Schnell wurden zwar auch die Vorteile, aber auch ganz deutlich die Negativerscheinungen sichtbar. Denn freilich können durch die gewonnene räumliche Nähe und eine erhöhte Autonomie in Fragen des Übergangs von Freizeit und Arbeitszeit neue Möglichkeiten und Freiheiten gewonnen werden. Aber zugleich führt die Mehrfachbelastung sehr oft zu Stress, Vereinsamung und neuen Zeit- und/oder Rollenkonflikten. Letztere treffen besonders auf Frauen zu, welche immer noch einen großen Teil der anfallenden Sorgearbeit übernehmen. So gaben bei einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem letzten Jahr 28 % der befragten Frauen an, dass sich die häusliche Aufgabenverteilung durch die geänderten Arbeitsstrukturen zu ihren Ungunsten verändert hätte.

Notwendigkeit einer Regelung

Die Bertelsmann Studie zeigte auch schon Lösungen für diese Probleme auf. Damit die Schattenseiten in der neuen Arbeitswelt zurückgehen und man die unbestreitbaren Vorteile effektiv und sicher nutzen kann. So wird unteranderem vorgeschlagen, klare Konzepte für die digitale Arbeitswelt zu schaffen und dabei die Mitarbeitenden mitzunehmen.

Eine Realisierung von New Work geht von einem Mündigen Mitarbeiter aus und hat dies gerade in solchen Fragen auch durch Mitbestimmung auszudrücken. Das dies nicht erst seit Corona ein Thema und möglich ist zeigt das Beispiel Bosch. So hat Bosch schon seit 2014 – weit vor der Corona-Pandemie – eine Betriebsvereinbarung zu Mobiler Arbeit. Darin wurden schon damals den Mitarbeitern zugesichert, dass ihr Recht auf Mobile Arbeit nur begründet und unter Prüfung der Einwände sowie der Suche nach Alternativen abgelehnt werden darf.

Mobile Arbeit ist ein Privileg

Jedoch darf man auch nicht vergessen, es bestehen große Unterschiede, ob und in welchem Umfang Homeoffice möglich ist. Homeoffice ist für viele Erwerbstätige immer noch ein Privileg. So ist neben Qualifikation und Tätigkeitsbereich zum Beispiel wichtig, ob man abhängig beschäftigt oder selbstständig ist. Hat der Chef mitzureden, ist Homeoffice seltener möglich.

Regional große Unterschiede

Und auch regional gibt es große Unterschiede. Dies zeigte die OECD 2018 anhand einer Untersuchung des Potentials für Homeoffice in ihren Mitgliedstaaten auf. In dicht besiedelten, städtischen Regionen ist das Potential für Homeoffice tendenziell höher als in ländlichen Gebieten. Die Möglichkeit auf Homeoffice ist immer ganz stak von der Wirtschaftsstruktur vor Ort abhängig. So war in Deutschland, wo der Durchschnitt 36 % betrug, die Region Hamburg zum Beispiel mit 44 % Spitzenreiter und Region Chemnitz bildete mit 28 % das Schlusslicht.

Der Artikel ist erstmals als Titelthema in der DGZ 03/2022 erschienen und wurde hier wiederveröffentlicht.

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